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Lennox-Gastaut-Syndrom: Ursachen, Symptome und Lebenserwartung

Epilepsien zählen zu den neurologischen Erkrankungen. Sie können in jedem Lebensalter auftreten und die davon betroffenen Patient:innen in ganz unterschiedlicher Art und Weise beeinträchtigen. Ein Großteil der Betroffenen kann mit Medikamenten Anfallsfreiheit erreichen und ein von der Epilepsie weitgehend unbeeinträchtigtes Leben führen.

Manche Epilepsieformen sind jedoch komplexer und Anfallsfreiheit ist für diese Betroffenen häufig nicht zu erreichen. Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten epileptischen Enzephalopathien. Dabei treten die ersten Symptome bereits im Kindesalter auf.

Sie sind meist schwer zu therapieren und gehen häufig mit unterschiedlich stark ausgeprägten Entwicklungsverzögerungen einher. Dazu zählt auch das Lennox-Gastaut-Syndrom, welches etwa zwei bis fünf Prozent der an Epilepsie erkrankten Kinder betrifft.

Definition

Das Lennox-Gastaut-Syndrom (kurz LGS) ist eine seltene und schwere, mit Entwicklungsstörungen einhergehende epileptische Enzephalopathie, die in der Regel im Kindesalter beginnt und durch eine Vielzahl epileptischer Anfallstypen gekennzeichnet ist.

Das Syndrom wurde in den 1950er- und 1960er-Jahren von den US-amerikanischen bzw. französischen Neurologen und Epileptologen William G. Lennox und Henri Gastaut ausführlich wissenschaftlich beschrieben und tritt nach Schätzungen von Expert:innen bei Kindern mit einer Inzidenz von zwei pro 100.000 auf.

Erste Symptome der Erkrankung zeigen sich meist bis zum Alter von zwölf Jahren mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr.

Ursachen

Mädchen mit Lennox-Gastaut-Syndrom im Rollstuhl mit Therapeutin

Die Ursachen des Lennox-Gastaut-Syndroms können vielfältig sein und gehen mit einer Schädigung des kindlichen Gehirns (Enzephalopathie) einher. Beispielsweise können Infektionen, die das Gehirn betreffen (z. B. Meningitis), Hirnfehlbildungen oder genetische Erkrankungen die Ursache sein.

Das Lennox-Gastaut-Syndrom kann sich auch aus dem West-Syndrom entwickeln, das ebenfalls zu den epileptischen Enzephalopathien zählt. Bei bis zu einem Drittel der Betroffenen ist die Ursache des Lennox-Gastaut-Syndroms jedoch unbekannt, auch wenn zwischenzeitlich mehrere mit dem Syndrom in Zusammenhang stehende Gene identifiziert werden konnten.

Symptome

Das Erscheinungsbild des Lennox-Gastaut-Syndroms kann sehr unterschiedlich sein, zudem verändert es sich im Verlauf der Erkrankung kontinuierlich. Einigkeit besteht hinsichtlich dreier charakteristischer Merkmale, der sogenannten Symptom-Trias, die für die Diagnose Lennox-Gastaut-Syndrom vorliegen müssen:

  1. Auftreten mehrerer Arten von medikamentenresistenten Anfällen mit Beginn vor dem 18. Lebensjahr. Bei einer der auftretenden Anfallsformen muss es sich um einen tonischen Anfall handeln. Daneben werden häufig auch Anfälle beobachtet, die zu einem Sturz führen (sogenannte Sturzanfälle).
  2. Spezifisch verändertes Muster bei der Messung von Gehirnströmen mittels Elektroenzephalogramm (EEG) u. a. mit verlangsamtem Grundrhythmus.
  3. Geistige Beeinträchtigungen und oft auch Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität, Aggression oder autistisches Verhalten.

Diagnose

Da sich ein früher Therapiebeginn wahrscheinlich günstig auf das Behandlungsergebnis auswirkt, gilt eine frühe Diagnose als erstrebenswertes Ziel. Allerdings ist eine schnelle Diagnose oft schwierig. Das liegt unter anderem daran, dass es keine bzw. kaum allgemein anerkannte Kriterien oder spezielle biologische Tests gibt, die die Diagnose eindeutig machen. Zudem zeigt sich das LGS sehr unterschiedlich und kann in seinen Merkmalen anderen Formen von Epilepsie im Kindesalter ähneln.

Ein weiteres Problem ist, dass die typischen Symptome des LGS – die sogenannte Symptom-Trias – häufig erst nach einem Jahr oder später vollständig sichtbar werden. Fehlen in der frühen Phase beispielsweise bestimmte Anfälle wie tonische Anfälle, kann es schwerfallen, die richtige Diagnose zu stellen.

Krankheitsverlauf

Kind beim EEG

Des Weiteren können sich die drei oben beschriebenen Hauptmerkmale im Verlauf des Lennox-Gastaut-Syndroms verändern. So können beispielsweise die geistigen Beeinträchtigungen schon vor dem erstmaligen Auftreten der epileptischen Anfälle, aber auch erst mit Fortschreiten der Erkrankung in Erscheinung treten.

Grundsätzlich ist im Verlauf der Erkrankung mit einer Verlangsamung, einem Stillstand oder Rückschritten in der Entwicklung zu rechnen, die bei mehr als 90 Prozent der Patient:innen zu einer mittelschweren bis schweren geistigen Behinderung führt.

Mit zunehmendem Alter der Patient:innen nehmen atonische Anfälle oft ab, während atypische Absence- und tonische Anfälle häufig bleiben. Etwa 50 bis 75 Prozent der Lennox-Gastaut-Patient:innen erleiden mindestens einmal einen außergewöhnlich langen (> 5 Minuten) epileptischen Anfall (einen sogenannten Status epilepticus). Dies zählt zu den wichtigsten Ursachen für die beim Lennox-Gastaut-Syndrom erhöhte Sterblichkeit. So ist das Sterblichkeitsrisiko bei Kindern mit Lennox-Gastaut-Syndrom 14-fach höher als das der Allgemeinbevölkerung.

Auch das Auftreten von „großen“ Anfällen (sogenannten generalisiert tonisch-klonischen Anfällen) erhöht das Sterblichkeitsrisiko: Bei erwachsenen Patient:innen, die im vorangegangenen Jahr generalisiert tonisch-klonische Anfälle erlitten haben, ist das Risiko für einen plötzlich auftretenden, unerwarteten Tod bei Epilepsie (SUDEP) 27-fach erhöht.

Therapieansätze: medikamentöse und nicht medikamentöse Therapie

Die Therapieresistenz der Anfälle und die Vielfalt der Anfallsformen sowie der zugrunde liegenden Erkrankungen stellt eine Herausforderung für die behandelnden Ärzt:innen dar. Die Anfälle zuverlässig und vollständig zu verhindern ist derzeit nicht möglich. Die vornehmlichen Ziele der Behandlung sind daher die Verringerung der Anfallslast und die Verbesserung der Lebensqualität.

Sowohl medikamentöse als auch nicht medikamentöse Therapieoptionen bieten unterschiedliche Ansätze zur Behandlung und spielen jeweils eine wichtige Rolle im therapeutischen Gesamtbild.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie des Lennox-Gastaut-Syndroms sieht derzeit meist die gleichzeitige Gabe zweier etablierter anfallssuppressiver Medikamente (ASM) vor. Für die behandelnden Ärzt:innen ist es dabei ein Ziel, Wirkungen und Nebenwirkungen bestmöglich auszubalancieren.

In jüngster Zeit wurden zusätzliche Wirkstoffe zugelassen, die ebenfalls in Kombination mit etablierten ASM verabreicht werden können. Weitere Wirkstoffe werden in klinischen Studien untersucht.

Nicht medikamentöse Therapie

Lebensmittel für ketogene Diät

Zu den nichtmedikamentösen Therapieoptionen zählt die ketogene Diät, die sich bei verschiedenen therapieresistenten Epilepsien bereits als wirksam erwiesen hat. Speziell beim Lennox-Gastaut-Syndrom zeigt eine Reihe offener Studien, dass bis zu 50 Prozent der Patient:innen (40 bis 51 Prozent) eine Reduktion der Anfälle von mehr als 50 Prozent, 1 bis 15 Prozent der Betroffenen sogar Anfallsfreiheit erreichen können.

Darüber hinaus zeigen Studien, dass die ketogene Diät bei Patient:innen mit refraktärer Epilepsie die Wachheit, Aufmerksamkeit und die allgemeine Kognition subjektiv verbessern kann. Allerdings kann es insbesondere für erwachsene Patient:innen schwer sein, die Diät mit ihrem hohen Fett- und niedrigen Kohlenhydratanteil einzuhalten.

Eine deutliche Reduktion (> 50 Prozent) der Anfälle scheint auch die gezielte elektrische Stimulation des zehnten Hirnnervs (Vagusnerv) beim Lennox-Gastaut-Syndrom erzielen zu können, wovon Studien zufolge bis zu 55 Prozent der Betroffenen profitieren können.

Ein möglicherweise noch besseres Ergebnis hinsichtlich der Reduktion der Anfallsfrequenz könnte die Epilepsiechirurgie erreichen, hierfür liegen aktuell aber nur wenige Daten vor. Darüber hinaus ist ein solcher Eingriff am Gehirn nur in ausgewählten Fällen und ausschließlich an spezialisierten Zentren möglich.

Weitere wichtige nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen umfassen regelmäßige Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie.

Aus der Gemeinschaft Kraft schöpfen

Symbolbild für Unterstützung und Gemeinschaft

Die Schwierigkeiten bei der Therapie der Erkrankung, das Fortbestehen von Anfällen, die zu Stürzen führen können, und die kognitiven Beeinträchtigungen führen dazu, dass Patient:innen mit Lennox-Gastaut-Syndrom häufig kein selbstständiges Leben führen können und lebenslang auf Unterstützung angewiesen sind. Dies beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, sondern auch die ihrer Familien.

Eine umfassende Behandlung des Lennox-Gastaut-Syndroms sollte daher nicht nur darauf abzielen, die Anfälle medikamentös zu kontrollieren, sondern auch die kognitiven und Verhaltensprobleme, Schlafstörungen, körperlichen Behinderungen, sozialen Beeinträchtigungen sowie schulischen und beschäftigungsspezifischen Herausforderungen interdisziplinär zu adressieren und damit die Lebensqualität der Betroffenen und deren Angehöriger zu verbessern. Da sich die bei Kindern noch eher „typischen“ Symptome des Lennox-Gastaut-Syndroms im Laufe der Zeit weiterentwickeln und verändern und bei erwachsenen Patient:innen Anfallsformen auftreten können, die über die beim Lennox-Gastaut-Syndrom häufigsten Typen hinausgehen, ist es wichtig, die Therapie immer wieder zu hinterfragen und eventuell anzupassen.

Hilfreiche Tipps sowie Unterstützung zum Umgang mit der Diagnose und Erkrankung Epilepsie und nicht zuletzt das Gefühl, nicht allein zu sein, finden Angehörige und Betreuende auf der Webseite des e.b.e. Epilepsie-Bundeselternverbands. Auf der englischsprachigen Webseite der US-amerikanischen LGS-Foundation gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, sich über Fortschritte in der LGS-Forschung zu informieren.

Viele wichtige Informationen und praktische Tipps zum Umgang mit der Erkrankung finden Sie auch in unserer Informationsbroschüre „Das Lennox-Gastaut-Syndrom“, die Sie hier abrufen können.

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Letzte Aktualisierung: März 2025