Anja, Jerome und Sarah leben mit EpilepsieAnja, Jerome und Sarah leben mit Epilepsie

Das Dravet-Syndrom: Seltene Epilepsie-Erkrankung mit frühem Beginn

Baby mit Fieber

Fieberkrämpfe, die im Rahmen von fieberhaften, meist viralen Infektionskrankheiten auftreten, zählen zu den häufigsten Notfällen im Kindesalter. Von den Eltern wird ein solcher Anfall als extrem beängstigend und bedrohlich für das Kind empfunden. In den allermeisten Fällen bleibt er aber ohne gesundheitliche Folgen für das Kind – der Fieberkrampf gilt im medizinischen Sinne als in aller Regel harmlos, auch wenn er, vor allem beim ersten Auftreten, die Verständigung des Notarztes notwendig macht.


Dauert der Anfall ungewöhnlich lange (länger als 20 Minuten) und ist er nur schwer zu durchbrechen, kann dies auf ein seltenes Epilepsie-Syndrom, nämlich das Dravet-Syndrom, hinweisen. So gilt eine schnelle Erhöhung der Körpertemperatur als der häufigste auslösende Faktor (Trigger) für Anfälle, die das Dravet-Syndrom charakterisieren. Entsprechend zeigen sich diese meist schon bei Säuglingen im Alter zwischen drei und neun Monaten, die sich zuvor gesund und altersgerecht entwickelt haben. Weitere, im Verlauf der Erkrankung ebenfalls wichtige Auslösefaktoren für Anfälle sind u. a. starke Emotionen wie Aufregung, Wut oder Stress, Schlafmangel, starke körperliche Anstrengung, Infekte (auch ohne Anstieg der Körpertemperatur) sowie schnelle Licht-/Schattenwechsel oder auffällige Muster.

Das Dravet-Syndrom ist eine seltene, aber schwere Form einer entwicklungsbedingten und epileptischen Enzephalopathie. Ursache des Dravet-Syndroms, das etwa eines von 20.000 lebend geborenen Kindern betrifft, ist in rund 85 Prozent der Fälle eine Veränderung (Mutation) im sogenannten SCN1A-Gen, das für die Ausbildung eines Ionenkanals in Nervenzellen kodiert. Durch die Mutation ist dieser Ionenkanal in seiner Funktion beeinträchtigt. Da er vor allem bei hemmenden Nervenzellen vorkommt, können diese ihre Aufgabe nicht mehr ausreichend erfüllen, wodurch es in bestimmten Gehirnbereichen zu Übererregbarkeit kommt, die wiederum zu einer Anfälligkeit für epileptische Anfälle führt. In nur zehn Prozent der Fälle wird eine Vererbung durch ein Elternteil festgestellt, bei 90 Prozent der betroffenen Kinder tritt diese Veränderung neu auf.

Verlauf und Symptome

Aufgrund der zumindest anfänglichen Abhängigkeit der Anfälle von der Körpertemperatur beginnt das Dravet-Syndrom oft mit ungewöhnlich langen (prolongierten) Fieberkrämpfen, die oft mehr als 20 Minuten dauern und nur schwer zu durchbrechen sind. Im weiteren Krankheitsverlauf treten unter anderem auch fieberunabhängige Anfälle mit sämtlichen epileptischen Anfallsformen auf. Besonders typisch sind myoklonische Anfälle, hemiklonische Anfälle mit wechselnder Seitendominanz und Dämmerungsstatus, möglich sind aber auch Absencen und fokal motorische Anfälle. Zudem ist die Anfallsfrequenz vor allem im Säuglings- und Kleinkindalter sehr hoch (manchmal mehrmals täglich). Durch die Schwere und das Spektrum der Anfälle unterscheidet sich das Syndrom damit deutlich von anderen Epilepsieformen.

Mit zunehmendem Alter der Betroffenen nehmen die Anfallsfrequenz und das Risiko für langanhaltende Anfälle (Status epileptici) meist ab, und es treten im Jugend- und Erwachsenenalter eher nächtliche, generalisiert tonisch-klonische Anfälle (sog. große Anfälle) auf.

Mit zunehmendem Alter der Betroffenen treten weitere behandlungsbedürftige Begleitsymptome der Erkrankung in Erscheinung, zu denen mittlere bis schwere geistige sowie motorische Beeinträchtigungen in Form eines Kauergangs oder Störungen der Bewegungskoordination zählen können. Diese motorischen Beschwerden können dazu führen, dass einige Patient:innen im Krankheitsverlauf auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Zudem zeigen betroffene Kinder häufig aggressives, hyperaktives und impulsives Verhalten, während Teenager und junge Erwachsene eher zu stereotypen, zwanghaften Verhaltensweisen neigen.

Lebenserwartung

Pulsoximeter wird Kind auf den Finger gesteckt

Ein weiterer belastender Aspekt für Eltern betroffener Kinder ist das beim Dravet-Syndrom erhöhte Risiko eines plötzlichen und unerwarteten Todes (Sudden Unexpected Death in Epilepsy Patients; SUDEP), weshalb eine Überwachung im Schlaf, beispielweise durch Pulsoximeter oder Alarmgeräte, empfohlen wird und auch im Erwachsenenalter beibehalten werden sollte.

Die meisten Betroffenen haben eine gute Lebenserwartung. Patient:innen mit Dravet-Syndrom erreichen das Erwachsenenalter mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 80 %. Es ist jedoch wichtig, dass sich Eltern und Pflegepersonen des erhöhten Risikos einer vorzeitigen Sterblichkeit beim Dravet-Syndrom bewusst sind: Der plötzliche Epilepsietod (SUDEP) ist für etwa die Hälfte aller Todesfälle im Zusammenhang mit dem Dravet-Syndrom verantwortlich, der Status epilepticus (ein außergewöhnlich lange andauernder epileptischer Anfall) für etwa ein Drittel. Die derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind ermutigend und deuten darauf hin, dass eine verbesserte Anfallskontrolle dazu beitragen kann, das Risiko einer vorzeitigen Sterblichkeit beim Dravet-Syndrom zu verringern.

Herausforderungen in Diagnose und Therapie

Teströhrchen mit Blut im Labor

Auch wenn seit einigen Jahren die Möglichkeit besteht, den Verdacht auf Dravet-Syndrom durch eine molekulargenetische Untersuchung zu bestätigen, stützt sich die Diagnose der Erkrankung nach wie vor auf die klinischen Symptome, von denen vor allem das Auftreten im frühen Lebensalter (3. bis 9. Lebensmonat), der Zusammenhang zwischen erhöhter Körpertemperatur und epileptischen Anfällen sowie die wechselnden Anfallsarten hervorstechen.

Kognitive Beeinträchtigungen oder Verhaltensauffälligkeiten werden oft erst bei der Einschulung evident, während die Bildgebung und auch das Elektroenzephalogramm (EEG) – zumindest zu Beginn der Erkrankung – unauffällig sind. In der Folge kann es manchmal mehrere Jahre dauern, bis die richtige Diagnose gestellt wird.

In der Regel ist die Epilepsie von Patient:innen mit Dravet-Syndrom schwierig zu behandeln. Selbst die Kombination mehrerer Medikamente erzielt oft keine Anfallsfreiheit. Zudem muss die Therapie im Krankheitsverlauf immer wieder individuell an die Situation des/der Betroffenen angepasst werden. Anfallssuppressive Medikamente, die Natriumkanäle adressieren, sind aufgrund der zugrundeliegenden Pathologie der Erkrankung kontraindiziert und sollten vermieden werden, da sie die Anfälle verstärken können.

Aufgrund der Neigung junger Patient:innen zu prolongierten Anfällen und zum Status epilepticus ist immer auch ein individuelles Therapieregime für den Notfall wichtig. In den letzten Jahren kamen weitere medikamentöse Therapieoptionen hinzu, die das Behandlungsspektrum erweitern konnten.

Zu den nicht medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten zählen das Vermeiden bekannter Triggerfaktoren – sofern möglich –, die Stimulation des Vagusnervs sowie eine ketogene Ernährung. Neben der Anfallskontrolle ist es aber auch wichtig, alle nicht anfallsbezogenen Symptome zu behandeln, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dazu zählen orthopädische Probleme, die unter anderem durch Physiotherapie adressiert werden können, ebenso wie die Herausforderungen, die mit den Verhaltensauffälligkeiten der Betroffenen einhergehen.

Vor allem letztere führen bei den Eltern zu Stress und haben negative Auswirkungen auf die Lebensqualität der gesamten Familie. Daher ist eine multidisziplinäre Betreuung der Patient:innen und Unterstützung der Familien von zentraler Bedeutung.

Gemeinsam die Herausforderungen meistern

Gruppe Erwachsener, die sich gegenseitig Halt geben

Eine Möglichkeit, sich mit anderen Familien auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen, bietet der gemeinnützige Verein „Dravet-Syndrom e.V.“ (www.dravet.de), der 2012 gegründet wurde und sich seitdem auch für die Erforschung der Erkrankung engagiert. Gelegenheit, sich über aktuelle Forschungsergebnisse und Studien zu informieren und andere Betroffene kennenzulernen, bietet die alle zwei Jahre stattfindende Familienkonferenz des Vereins.

In der Informationsbroschüre „Das Dravet-Syndrom“ haben wir viele wichtige Informationen und praktische Tipps zum Umgang mit der Erkrankung zusammengestellt. Darüber hinaus finden Sie in den weiterführenden Links der Broschüre Anlaufstellen für Unterstützungsmöglichkeiten für Patient:innen und ihre Angehörigen.

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Letzte Aktualisierung: März 2025